GRÖNLAND
AN BORD DER MS FRAM

Ein Tagebuch von Johanna Stöckl

Zum Eis? Erstmal durch die Wüste!

Tag 2: Kangerlussuaq KARTE

Kopenhagen. Terminal 2. Air Greenland. Flug GL 6783. Monate habe ich mich auf diesen Tag, auf diesen Augenblick gefreut. Jetzt geht es tatsächlich los. Gute vier Stunden und einen aussichtsreichen Flug später steige ich in Kangerlussuaq aus dem Airbus und staune. Es ist ziemlich warm hier. Geschätzt: 17/18 Grad. Keine zehn Sekunden später, weiß ich, wieso man uns alle, die wir diese Reise antreten, angehalten hat, Mückenschutz in jeder Form zu kaufen. Am Flughafen wimmelt es nur so von fiesen, kleinen Moskitos. Sie stechen gnadenlos. Entsprechende Mückennetze helfen wohl, aber ich will mich partout nicht vermummen, nicht am Flughafen schon wie ein Imker aussehen. Mit ein paar bösen Stichen komme ich im Vergleich zu anderen noch relativ glimpflich davon.

Zum ersten Mal sehe ich die MS Fram, das Expeditionsschiff der Reederei Hurtigruten. Heute Abend werde ich mit ca. 170 Passagieren an Bord gehen, um Grönlands Westküste zu erkunden. Ich freue mich sehr auf das Schiff. Die meisten Passagiere sind deutlich älter als ich. Hauptsächlich Paare.

Wie es mir die nächsten 12 Tage wohl ergehen wird an Bord?

Bis vor gut einem Jahr dachte ich ja, Schiffsreisen seien so gar nichts für mich: nur alte Leute, keine Rückzugs- und Fluchtmöglichkeiten, zu viel Animation, zu viel Tamtam.
Dann verletzte ich mich am Bein und musste über 10 Wochen an Krücken laufen. Ich war alles andere als mobil. In diesem Zustand schien mir eine Reise mit einem Hurtigruten Postschiff entlang der norwegischen Fjordküste das einzig Wahre. Naja, und dann war das so etwas wie Liebe auf den ersten Blick…

Bevor wir an Bord gehen, wartet in Kangerlussuaq (was überbersetzt frei übersetzt "langer Fjord" heißt) noch ein erstes, echtes Highlight auf mich. Das Städtchen, in dem ca. 600 Personen leben, ist nämlich nur gut 35 Kilometer von der Abbruchkante des grönländischen Inlandeises entfernt. Der Eispanzer erstreckt sich über 2.500 Kilometer von Nord nach Süd und ca. 1.000 Kilometer von West nach Ost.

Dass es vom "Ortszentrum" aus eine Straße Richtung Inlandeis gibt, hat man VW zu verdanken. Der Automobilhersteller hatte ursprünglich vor, hier Autos zu testen. Dazu kam es, wenn ich das richtig verstanden habe, zwar nie, aber über die Schotterstraße freut sich heute natürlich der ganze Ort. Sie soll mit ihren knapp 35 Kilometern die längste Straße in ganz Grönland sein. In Offroad-Bussen, begleitet von einheimischen Guides, erkunden wir die Umgebung von Kangerlussuaq.

Von der kargen aber wunderschönen Tundralandschaft geht es Richtung Inlandeis erst einmal durch die arktische Wüste, eine Art "Moränenendprodukt des Gletschers".

Ist das nicht irgendwie bizarr? Wir fahren ans Eiskap und schwitzen, während draußen unsere Gelände-Busse kräftig Staub aufwirbeln? Einmal fahren wir sogar an mehreren kleinen Dünen vorbei. Und dann - da! - plötzlich sieht man das Eis am Horizont leuchten.

Steht man dann davor ist es einfach überwältigend. Diese Größe, diese Formen, diese Spitzen, diese Furchen, diese Spalten …! Es ist schöner und imposanter als ich zu träumen wagte.

Ich denke intensiv an Birgit Lutz, deren Buch "Grenzerfahrung Grönland" gerade erschienen ist. Ich habe dieses Buch sogar mit nach Grönland gebracht. Birgit startete vor ca. einem Jahr genau hier an diesem Gott verlassenen Ort zu einer Grönland-Überquerung. Auf Ski ist sie gemeinsam mit zwei männlichen Kollegen über 560 Kilometer übers gewaltige Inlandeis gelaufen. Darüber hat sie eben dieses Buch geschrieben. Die letzten Seiten - ich fand das irgendwie passend - will ich hier in Grönland lesen.

Gegen 20 Uhr gehen wir an Bord der MS Fram, die hier auf Reede liegt. Polarcircle Boote bringen uns zum Schiff.

Dies und das aus Kangerlussuaq

➡ Rund um den Ort leben an die 5.000 Moschusochsen in der Tundra. (Nein, leider, keinen gesehen, aber haufenweise deren Losung)

➡ Eine Bratwurst aus Rentier und Moschusochsenfleisch schmeckt einfach grandios (Restaurant Roklubben am Ferguson See)

➡ In der hügeligen Landschaft kurz vor dem Inlandeis bei Kangerlussuaq treffen sich einmal im Jahr Schamanen aus der ganze Welt. Der Ort ist offensichtlich nicht nur optisch voller Magie.

➡ Der einzig wahre Mückenschutz (ich habe mehrere hier getestet): Nobite, Mückenspray. Großflächig – auch auf der Kleidung – auftragen!

➡ Kleiner Witz aus Kangerlussuaq. Deutsche Dame beim Einsteigen in den Bus: "Wenn Mücken nicht Blut, sondern Fett absaugen würden …"

➡ Buchtipp: Birgit Lutz, Grenzerfahrung Grönland, btb