GRÖNLAND
AN BORD DER MS FRAM

Ein Tagebuch von Johanna Stöckl

Eine Geisterstadt, Gewehre und ein gigantischer Gletscher

Tag 9: Qullissat / Eqip Sermia KARTE

Der Tag beginnt mit einer kleinen Enttäuschung. Ich hatte mich für eine Wanderung eingetragen, bin dafür sehr früh - 6.00 Uhr - aufgestanden (und daher gestern Abend leider nur kurz in der Bar bzw. Observation-Lounge gesessen) und erfahre beim Frühstück, dass unsere Tour abgesagt wird. Jedoch: Dieser Tag wird mit einem echten Highlight enden. Der Reihe nach:

Wir erreichen Qullissat gegen 8 Uhr. Tenderboote bringen uns an Land. Qullissat ist eine Geisterstadt. In der ehemaligen Bergbausiedlung, in deren Miene 48 Jahre lang Kohle abgebaut wurde, lebt seit 1972 kein Mensch mehr. Man hat, wenn ich das richtig verstanden habe, die Miene aus Kostengründen geschlossen, da die Stollen im Frühjahr und Sommer über das Abschmelzen der Gletscher im Hinterland immer öfter regelrecht geflutet wurden, was zu einem Rückgang des Ertrages führte.

Ich frage mich, wieso ich mir diesen gottverlassenen Ort überhaupt anschauen soll. Meine Stimmung ist gedrückt. Ich wollte wandern. Jetzt stehe ich hier mit 170 Blaujacken in einem Ort, der leblos ist. Zum ersten Mal auf dieser Reise kann ich die Nähe zu meinen Mitpassagieren kaum mehr ertragen. Ich sehne mich nach einer Stadt, in der ich einmal abtauchen und anonym sein kann. Und: Nach Bäumen, nach Wäldern. An diesem trostlosen Ort kann man sich nicht einmal verstecken.

Als würde jemand meinen Wunsch erhören, sehe ich just hier plötzlich wunderschöne Pflanzen.

Endlich! Farbe! Maiglöckchenheide und ein - für grönländische Verhältnisse - Prachtgewächs in Lila. Wer weiß, um welche Pflanze es sich hier handelt, bitte melden :-)

Dass unsere Guides heute erstmals bewaffnet sind und Gewehre auf dem Rücken tragen (ja - es soll hier Eisbären geben), gefällt mir auch. Es gibt dieser Reise wie ich finde einen ziemlich abenteuerlichen Touch. Line Overgaard unsere Expeditionsleiterin aus Norwegen dazu: "Rather be safe than sorry!"

Gegen Mittag sind wir alle wieder an Bord. Kurs: Illulissat. Nach dem Abendessen werden wir noch einmal an Land gehen und die fünf Kilometer breite Gletscherfront des Eqip Sermia besuchen. Die Fahrt dorthin wird mit jeder Stunde schöner. Das Wetter bessert sich, die Dichte der Eisberge nimmt zu. Stundenlang stehen wir an Deck und genießen das Naturschauspiel.

An dieser Stelle muss ich meine Fram-Freunde einmal explizit erwähnen: Margit und Gaby, Klaus, Thomas, Marianne, Nina, Liesi und Harald - ihr wachst mir hier am Schiff richtig ans Herz. Jeder auf seine Art. Ihr seid so dankbar für alles, was wir hier erleben dürfen. Das bin ich auch. Wir teilen wunderschöne Momente zusammen.

Ich werde Grönland immer mit euch in Verbindung bringen!

21.30 Uhr - wir sitzen auf einem Felsen. Die Sonne steht tief. Alle sind still. Fast andächtig ist die Stimmung. Vor uns liegt der Gletscher. Majestätisch, dieses Bild. Immer wieder kracht es in der Ferne. Dumpf. Das Geräusch erinnert mich an? Ja, das Sprengen von Lawinen bei uns in den Alpen! Genau so klingt das. Der Gletscher, der sich ja bewegt und fortwährend nach vorne geschoben wird, ist mächtig unter Spannung und kalbt hier regelmäßig Eisberge ins offene Meer. Aus diesem Grund muss man dem Gletscher auch mit Respektabstand begegnen. Wenn ein Eisberg an der Kante abbricht, erzeugt dies eine Flutwelle. Damit man eine Vorstellung der Dimension bekommt: An der Abbruchkante ist der Eqip Sermia ca. 100 Meter hoch.

Obwohl uns dieses Naturschauspiel nicht unmittelbar vergönnt ist, kein Eisberg vor unseren Augen abbricht, ist dieser Platz einer der schönsten, den ich je gesehen habe. Später laufe ich noch mit Thomas, Michael, Steffen und ein paar anderen Passagieren auf einen kleinen Gipfel. Wenn die bösen Moskitos nicht wären, ja, dann … wär' das hier wohl das Paradies!

Dies und das aus Qullissat bzw. Eqip Sermia

➡ Kuupik Kleist wurde 1958 in Qullissat geboren. Von 2009 bis 2013 war er das Regierungsoberhaupt Grönlands. Auf Grönländisch heißt Premierminister übrigens: Naalakkersuisut siulittaasuat :-)

➡ Auf Wikipedia lese ich jetzt, dass Herr Kleist auch Direktor der grönländischen Journalistenschule war. Später am Abend erfahre ich von Aka, dass es in Grönland eine Tageszeitung gibt, einen TV Sender und eine Radiostation.

➡ Heute steht eine Frau an der Spitze Grönlands: Aleqa Hammond. Die 50-jährige Politikerin, die aus Uummannaq stammt,spricht sieben Sprachen. Auch Deutsch. Hammond vertritt einen Weg Grönlands in die politische und wirtschaftliche Selbständigkeit und sieht die Insel nicht etwa als einen Teil Europas, sondern zu Nordamerika gehörig. Durch eine stärkere Ausbeutung der Bodenschätze soll die Unabhängigkeit von Dänemark erreicht werden.

➡ In unmittelbarer Nähe des Eqip Sermia kann man kleine Cabins, also Holzhütten, mieten. Eine Übernachtung an diesem speziellen Ort stelle ich mir fantastisch vor.

Webseite Glacier Lodge Eqi

➡ Die Arktis schmilzt schneller als die Antarktis. Im Übrigen schmilzt nicht nur die Fläche, sondern vor allem auch die Dickes des Eises ständig. Grönland ohne Eis ist - im Gegensatz zur Antarktis – eine Festlandinsel.

➡ Die Temperatur im Inneren eines Eisberges beträgt ca. - 17 Grad.