GRÖNLAND
AN BORD DER MS FRAM

Ein Tagebuch von Johanna Stöckl

Urlaubslotterie und Facebook

Tag 7: Illorsuit KARTE

9 Uhr. Wir erreichen Illorsuit, ein Dorf an der Mündung des Uummannaq Fjords. Hier leben heute nur noch an die 90 Personen. Die Zahl sinkt weiter.

Zum ersten Mal auf dieser Reise überkommt mich ein bedrückendes Gefühl. Da ich mich jederzeit wieder in meine luxuriöse Parallelwelt, mein schwimmendes Zuhause, zurückziehen kann, wirkte Grönland bisher mehr oder weniger ausschließlich über seine gigantische und faszinierende Landschaft.

Entsprechend verklärt bzw. einseitig habe ich das Land bisher wahrgenommen. Schön anzuschauen ist das Ambiente ja: Die bunten Häuser, die Felsen, bizarren Berge, das Wasser, das Eis, das Licht … Alles, was ich bisher sehen durfte, habe ich komplett verblendet wahrgenommen.

In dieser Abgeschiedenheit und Exposition, unter diesen klimatischen Extrembedingungen leben zu müssen, kann auch richtig schrecklich sein.

Vor allem für die jungen Leute, die mittlerweile über Internet mit der Welt verbunden sind und ganz genau wissen, unter welch üppigen Bedingungen andere Jugendliche leben dürfen. Während ich - wie passend - zum örtlichen Friedhof laufe, gehen mir diese Gedanken durch den Kopf.

Später am Strand erzählt uns Christian Nielson vom Leben im Dorf. Er, der es nicht anders kennt, findet es schön. Wir, die wir aus einer anderen Welt kommen, könnten dieses Leben wohl kaum führen. In Illorsuit gibt es nicht einmal fließendes Wasser in den Häusern. Christians Neffe gesellt sich zur Fragerunde. Seine Haare hat der Jugendliche selbst gefärbt, denn Frisör gibt es logischer Weise keinen im Dorf. Er möchte aussehen wie David Beckham, sagt er. Er sei, nicht nur als Fußballer, sondern vor allem als Stilikone sein Vorbild.

Seit ein paar Jahren ist der Ort mit der Außenwelt vernetzt. Es gibt Telefonanschlüsse, Satelliten TV und rasend schnelles Internet. Christians Neffe hat an die 200 Freunde auf facebook. Sie stammen alle aus Grönland. Persönlich kennt er die wenigsten davon.

Christian Nielson, der stolze Fischer und Jäger aus Illorsuit war noch nie in seinem Leben im Urlaub. Man ist mit dem Überleben, also Jagen und Fischen, ganzjährig beschäftigt. Auch alle anderen Dorfbewohner verreisen praktisch nie. Diesen Sommer aber haben zwei Familien aus dem Ort bei einer Art Urlaubs-Lotterie das große Los gezogen und einen einwöchigen Aufenthalt in der Hauptstadt Nuuk gewonnen. Das gesamte Dorf freut sich mit den Gewinnern.

Ich schlendere an Peter und Ute vorbei. Das Pärchen aus München hat es sich auf einer Anhöhe mit Blick über die Bucht gemütlich gemacht. Die beiden sympathischen und überaus aktiven Rentner malen in ihrer Freizeit wunderschöne Aquarelle. Auch hier in Illorsuit entstehen wieder zwei Exponate ihrer Grönlandsammlung.

Schön anzuschauen ist die pittoreske Landschaft ja …

Dies und das aus Illorsuit

➡ 2009 und 2011 ankerte jeweils ein Passagierschiff vor Illorsuit. Wir sind das dritte Schiff in fünf Jahren. Wer ist hier die Attraktion?

➡ Bis vor ein paar Jahren haben alle Frauen aus Illorsuit ihre Kinder zu Hause geboren. Es gibt eine Hebamme. Bei Komplikationen werden Frauen mittlerweile per Helikopter nach Uummannaq geflogen.

➡ Die örtliche Schule besuchen derzeit vier Kinder. Jeweils acht Jahre lang. Die letzten zwei Pflichtschuljahre verbringen alle Kinder Grönlands in einem Art Internat in der jeweils nächst größeren "Stadt".

➡ Knapp einen Kilometer außerhalb des Dorfzentrums befindet sich der örtliche Fußballplatz. Man spielt wie in ganz Grönland auf Sandboden. Während ich ein paar Bilder vom Bolzplatz in der Arktis schieße, denke ich an die Deutsche Nationalelf, die heute ihr zweites Gruppenspiel absolviert. In Grönland gibt es logischer Weise keine eigene Liga. Fußball wird aber trotzdem groß geschrieben. Einmal im Jahr wird ein Turnier in Nuuk veranstaltet, bei dem sich die verschiedene Ortsvereine messen.

➡ Die Friedhöfe in Grönland sind an besonders schönen Orten angelegt. Stets mit einem imposanten Blick aufs Wasser. Nicht der tollen Aussicht wegen, sondern weil im Wasser alles Göttliche vermutet wird. Dort, wo die Nahrung (der Fisch) herkommt, dort muss Gott zu Hause sein.