GRÖNLAND
AN BORD DER MS FRAM

Ein Tagebuch von Johanna Stöckl

Sommersonnwende, Schneefall und Wehmut

Tag 8: Upernavik KARTE

8 Uhr. 72°47'13"N 56°08'50"W.

In Upernavik haben wir den nördlichsten Punkt unserer Reise und somit auch den Wendepunkt erreicht. Ab jetzt geht es retour. Wieder südwärts. Wehmut macht sich in mir breit. Ich könnte endlos weiterschippern.

Beinahe jedes Haus in der 1000-Seelen-Stadt hat heute die grönländische Flagge gehisst. In der Kirche trifft man sich zur Messe. Am örtlichen Friedhof werden Kränze niedergelegt. Im Gemeindehaus wird bei Kaffee und Kuchen gefeiert, getanzt und gesungen. Grönland feiert heute seinen Nationalfeiertag.

Ich denke an Zuhause. Bei uns in Leogang, wo ich geboren wurde und aufgewachsen bin, feiert man heute auch: Sonnwende. Auf den Gipfeln der Leoganger Steinberge entzündet man dazu große Feuer, die im Tal als eine zusammenhängende Lichterkette wahrgenommen werden. Touristen wie Einheimische lieben dieses Spektakel gleichermaßen. Ich bin so oft es geht auch dabei. Gefeiert werden der Sommer, die langen Tage, die kurzen Nächte.

In Upernavik, wo wir gegen 9 Uhr mit den Polarcircle Booten an Land gebracht werden, schneit es. Kurz schaue ich an der Kirche bzw. am Friedhof vorbei. Die ganze Stadt ist unterwegs. Jeder kennt jeden. Man ist unter sich. Ich fühle mich wie ein Eindringling, habe das Gefühl zu "stören", nicht dazuzugehören und werde an den Feierlichkeiten nicht teilnehmen, obwohl wir laut Programm herzlich dazu eingeladen wären.

Schon vom Boot aus habe ich den Flughafen in Upernavik gesehen. Verwegen: Er liegt auf einem Berg, dessen Kuppe regelrecht gekappt und abgetragen worden ist. Später hat man eine plane Fläche für die Landebahn wieder aufgeschüttet. Als ich oben ankomme, ist das ganze Areal abgesperrt. Keine Menschenseele da. Heute kein Flugverkehr! Toll, dann kann ich ja versuchen auf die Landebahn zu gehen. Dazu muss ich den Berg mehr oder weniger umrunden. Von unten hatte ich nämlich einen kleinen Pfad ausgemacht, der an der Landebahn enden müsste. Und tatsächlich finde ich einen Zustieg. Kurze Zeit später stehe ich mutterseelenallein auf dem Rollfeld und ergötze mich am Blick auf Upernavik hinunter. Zweimal pro Woche landen hier kleine Maschinen der Greenland-Air um wenig später wieder abzuheben.

So ein Flughafen ist ein Lotto-Sechser für einen Ort in Grönland. Eine Lebensader und zugleich Sprungbrett. Ein Großteil der Versorgung läuft zwar auch in Upernavik nach wie vor über Schiffe, aber der Flughafen schließt den sonst eher abgeschiedenen Ort in der Melville Bucht im Nordwesten Grönlands an die große, weite Welt an. Mehrmals pro Woche kann man in Turbo-Prop-Flugzeugen von hier aus in andere Orte Grönlands fliegen. Natürlich auch nach Kangerlussuaq. Von da geht's direkt nach Kopenhagen. Umgekehrt heißt das aber auch, dass auch Touristen Upernavik recht gut erreichen können. Dem Ort sieht man das an. Er ist sauber, aufgeräumt und verfügt über minimale touristische Infrastruktur. Ich laufe an ein paar Pensionen, Guesthouses, Cafés und sogar an einem Würstchenstand vorbei.

Dass es in der Region Eisbären hat, sieht man: Auf einigen Balkonen hängen Eisbärenfelle neben Robbenfellen zum Trocknen. Sie wurden wie ich erfahre erst kürzlich geschossen.

Dies und das aus Upernavik

➡ 2009 sprachen sich die Grönländer in einer Volksabstimmung für mehr Unabhängigkeit von Dänemark aus. Unsere grönländischen Guides aus dem Expeditionsteam Aka, Michael und Ivik sind sich einig: Für eine endgültige Unabhängigkeitserklärung sei es wohl noch zu früh. Es brauche sicher noch zwei, drei Generationen bis Grönland, das noch stark von Dänemark subventioniert wird, als selbstständiger Staat funktionieren kann.

➡ Im Winter verschwindet die Sonne für drei Monate in Upernavik. Unvorstellbar für mich.

➡ In der Region rund um Upernavik laden mehr als 100 kleine Inseln Touristen zum Arctic Adventure ein. Besonders beliebt: Paddelausflüge und Kajakcruises.

➡ Heiß begehrte Bodenschätze verstecken sich in Grönlands Erde bzw. unter seinem Eis. Weltweit agierende Unternehmen lauern nur so darauf diese endlich heben zu können. Grönland ist demnach ein reiches Land.

➡ Den Menschen in Grönland geht es im Vergleich zu Bewohnern anderer arktischen Ländern vergleichsweise gut.

➡ Da man auf dem felsigen Untergrund kein Grab in herkömmlichen Sinne schaufeln kann, werden in Grönland oberirdische Gräber gemauert. Sie werden mit einem Meer von Plastikblumen geschmückt.