GRÖNLAND
AN BORD DER MS FRAM

Ein Tagebuch von Johanna Stöckl

Mein erster Gipfel im Q-Land

Tag 3: Sisimuit KARTE

Gegen 6.30 Uhr über Bordfunk: "Wale an Backbord! Guten Morgen allerseits." Obwohl ich blitzschnell angezogen und draußen an Deck bin, tauchen die Wale ab, bevor ich sie zu Gesicht bekomme. Dennoch bleibt mir dieser Weckruf als der schönste (und effizienteste) in meinem bisherigen Leben in Erinnerung.

Sisimuit ist nach der Hauptstadt Nuuk die zweitgrößte Stadt Grönlands. Rund 5.200 Einwohner leben in der südlichsten Stadt Grönlands, in der Schlittenhunde im Winter zum Einsatz kommen. Das Städtchen sieht auf den ersten Blick sehr einladend aus. Gegen 11 Uhr legt die Fram an der Pier an. Während sich ein Großteil der Passagiere für eine Stadtrundfahrt, einen Spaziergang mit anschließendem Museumsbesuch oder eine Bootsfahrt nach Assaqutaq entschieden hat, buche ich für heute eine Bergtour. Begleitet werden wir von Jens, einem einheimischen Guide und Jean-Louis und Michael aus dem Expeditionsteam der MS Fram.

Wir wollen über die Südseite auf den 550 Meter hohen Palasip Qaaqqaa (drei Qs in einem kurzen Wort! Aber: Da geht noch mehr!) steigen. Obwohl der Pfad eigentlich nicht schwierig, aber stellenweise sehr steil ist, gestaltet sich die ca. 5-stündige Wanderung anspruchsvoller als gedacht. Bis vor ein drei Wochen lag hier überall noch Schnee, weshalb der Weg sehr matschig und daher rutschig ist. Festhalten kann man sich, wenn überhaupt, nur an ein paar Sträuchern. Einige Mitwanderer geben ab der Hälfte auf und warten. Ich habe Gott sei Dank Stöcke dabei!

Übersetzt heißt Palasip Qaaqqaa "Gipfel des Pfarrers". Der Sage nach soll ein dänischer Pfarrer, der in Sisimuit stationiert war, um die Bewohner vom christlichen Glauben zu überzeugen, derart unter der Abgeschiedenheit und Isolation des Dorfes an der Westküste Grönlands gelitten haben, dass er in den Sommermonaten täglich auf eben diesen Berg gestiegen ist. Auf dem Gipfel stehend hat er nach einem Schiff Ausschau gehalten. Es sollte ihn von diesem trostlosen Ort wieder fort bringen.

Mein Tag in Sisimuit wird alles andere als trostlos. Das liegt natürlich einmal am Wetter, das besser nicht sein könnte. Aber auch an meinen interessanten Begleitern. Ich unterhalte mich lange mit Jens, der hier geboren ist. Er hat in Kopenhagen studiert und arbeitet heute als Lehrer in Sisimuit. Im Nebenjob führt er Touristen in die Berge. Das Leben in Kopenhagen, so aufregend es im Vergleich zum Leben im Dorf auch war, machte ihn auf Dauer nicht glücklich. Nach 10 Jahren kehrte Jens wieder zurück. Der Natur und Ruhe wegen.

Neben zehn anderen Mitwanderern steht auch Peter Wallnöfer mit mir auf dem Gipfel. Der 75-jährige Münchner hat sich gemeinsam mit seiner Frau Ute die Grönland-Reise mit der MS Fram gegönnt, weil er öfter mit Hurtigruten reist, weil er Schiffsreisen mag - "bequemer geht's nicht" – weil man Grönland eigentlich nur mit dem Schiff bereisen kann, wenn man in kurzer Zeit viel sehen will. In die Berge geht Peter oft. Das sieht man. Er ist nicht nur trittsicher, sondern auch richtig fit. Dass wir zwei uns auf einem Gipfel in Grönland kennen lernen, ist doch kurios. Wir hätten uns deutlich leichter in München über den Weg laufen können, wo der ehemalige Biologieprofessor lebt.

Die deutsche Fußballnationalmannschaft startet heute in die WM. Da wir hier in Grönland über die Zeitverschiebung vier Stunden hinten liegen, erfahre ich über mehrere SMS, die mich am Gipfel erreichen, dass Deutschland Portugal 4:0 schlägt. Ich informiere Peter. Im Duett freuen wir uns über den Sieg - und Müllers drei Tore. Im Abstieg reden mit mit Passagieren aus England beinahe ausschließlich über Fußball.

Dies und das aus Sisimuit

➡ Der Spruch des Tages kommt von Steffen, der als Geologe im Expeditionsteam und zugleich die unterhaltsame Bordfunkstimme der MS Fram ist: "Viele grönländische Wörter werden seltsam ausgesprochen, weil sie so seltsam geschrieben werden."

➡ Keine drei Wochen zuvor wurde in Sisimuit ein Eisbär geschossen. Da Eisbären an der Westküste Grönlands seltener als an der Ostküste sind, war dies eine kleine Sensation. Gleich drei Personen erzählten mir davon.

➡ In Sisimuit leben knapp über 5.000 Einwohner. Aber auch ca. 2.000 Schlittenhunde sind hier zu Hause. Für sie hat man, etwas außerhalb des Ortskerns, einen eigenen Platz geschaffen. Die "Hundestadt". Denn Schlittenhunde sind nicht nur süß und schnell, sondern im Rudel Menge auch richtig laut. Außerdem stinkt ihr Kot eigentlich ziemlich übel. Schlittenhunde sind keine Haustiere.

➡ Es gibt 39 unterschiedliche Eskimo-Rollen. Der Weltmeister in Sachen Eskimorolle-Formation kommt aus Sisimuit und mit seinem Kajak an die MS Fram gefahren, um uns seine Künste unter tosendem Applaus vorzuführen.

➡ Mitternachtssonne (extrem) schön und (richtig) gut: Ich ziehe gegen 22.30 Uhr gnadenlos die Vorhänge zu und kippe ins Bett.