GRÖNLAND
AN BORD DER MS FRAM

Ein Tagebuch von Johanna Stöckl

Jetlag und rotierende Eisberge

Tag 4: Qeqertarsuaq KARTE

Ich komme mit der Zeitumstellung, Mitternachtssonne und überhaupt mit der ganzen Aufregung an und off Bord noch nicht ganz klar, werde extrem früh wach, abends nach dem Essen bin ich hundemüde. Ich bin völlig aus dem Rhythmus. Als ich am 4. Tag den Vorhang meiner Kabine gegen 5 Uhr morgens aufziehe, schwimmt zum Start in den Tag ein kleiner Eisberg an meinem Bullauge vorbei.

Zum ersten Mal in meinem Leben sehe ich einen Eisberg live und bin auch schon wieder völlig aus dem Häuschen. Weiterschlafen? Fehlanzeige. Auf Deck 4 steht ein Kaffeeautomat zur freien Selbstbedienung. Nichts wie hin!

Das Wetter hat umgeschlagen. Es regnet leicht und die Wolken hängen tief als wir gegen 9 Uhr Qeqertarsuaq erreichen. Der Hauptort der so genannten Diskoinsel ("große Insel") zählt rund 1.000 Einwohner und liegt am Fuße beeindruckender Basaltfelsformationen. Polarcircle Boote bringen uns an Land. Um 15.30 Uhr habe ich eine Eisfahrt mit Walsafari gebucht. Die Zeit bis dahin will ich alleine und auf eigene Faust das Städtchen erkunden.

Erstmal spaziere ich um den Ort mehr oder weniger herum, lasse das "Zentrum" (bestehend aus einer achteckigen Kirche, dem Postamt, einer Kneipe, dem Frisör "Salon 87", einer Litfasssäule und einem Museum) vorerst links liegen.

Was mir wieder auffällt: Alle Einheimischen grüßen freundlichst. Nicht nur Kinder, auch Erwachsene. Sogar die Autofahrer winken oder nicken einem lächelnd zu.

Wie gerne würde ich mich einmal länger mit einem Dorfbewohner unterhalten. Ob ich sie einfach so auf der Straße ansprechen kann?

Was mir leider auch gleich wieder ins Auge sticht: Die Grönländer haben ein dickes Müll- bzw. Schrottproblem. Ein paar Tage später erfahre ich allerdings in Illorsuit, dass hier der Sondermüll gesammelt und einmal im Jahr in großen Containern abgeholt wird. Endziel: Schrottplätze bzw. Müllaufbereitungsanlagen in Dänemark.

Hoffentlich stimmt das auch ...

Im Postamt will ich mich nach Briefmarken umschauen. Vielleicht gibt es ja schöne Motive? Zwei "Schalter" sind besetzt. Ich gehe zum jüngeren Mann, in der Hoffnung, dass er Englisch spricht. Und das kann er halbwegs. Ich bin der einzige Kunde. Wir haben Zeit zu plaudern.

Woher kommst du?

München. Deutschland.

Ah, München, gut.

Warst du denn schon in München?

Nein, aber ich bin Fan des FC Bayern. Lahm, Schweinsteiger, Neuer, Ribery, Götze …

Er kennt die gesamte Mannschaft, leiert die Namen aller Spieler herunter und sagt dann:

München supergut.

Ich bin baff.

Wieder einmal staune ich über das Verbindende im Sport. Jetzt und hier ist der FC Bayern München ein zwar klitzekleiner, aber gemeinsamer Nenner. Immerhin: mein Gegenüber und ich - wir teilen etwas, obwohl wir uns nicht kennen. Am gefühlten Ende der Welt stellen wir also fest: Wir sind beide Fans des FCB. Dafür liebe ich den Sport. Ich zeige meinen Mitgliedsausweis her. Wir müssen beide lachen.

Allerdings bin ich auch beschämt: Was weiß ich über Grönland? Viel zu wenig. Praktisch nichts.

Später schlendere ich in den örtlichen Supermarkt. Im Reisehandbuch der MS Fram stand, man sollte möglichst wenig in den Lebensmittelgeschäften kaufen, da die Versorgung insgesamt schwierig und daher knapp ist, sodass man den Einheimischen quasi etwas wegkaufen würde. (Oder ist dies nur ein Trick, um uns Passagiere an den Bordshop zu binden?)

Der Supermarkt jedenfalls ist ganz gut sortiert.
Es gibt das Nötigste.

Z.B. unterschiedlichste Außenbord-Motoren :-)
Kaffee, Tee, Säfte, Milch, etwas Fleisch und Wurst, wenig Obst und Gemüse, sehr viel Süßes und auch Medikamente.

Ich will sehen, ob es auch Produkte aus Deutschland im Regal hat. Und siehe da, ich werde fündig: Senf und ein paar Grillsaucen kommen aus Germany.

Ich kaufe eine Schokolade. Die Regale sind vollgestopft damit.

In der Dorfkneipe freut sich der Betreiber sichtlich über meinen Besuch. Er hofft, dass heute auch noch andere Fram-Passagiere zu ihm kommen. Er hat deshalb extra ein paar Lachsbrötchen vorbereitet.

Na dann: Nehme ich Lachsbrot zum Filterkaffee.

Vor einer Wand ist ein uraltes Schlagzeug aufgebaut. Dahinter hängt ein Fernseher an der Wand. Es läuft eine Fußballzusammenfassung vom Vortag.

Ich sehe die 4 Tore der Deutschen gegen Portugal.
Neben mir sitzen noch drei einheimische ältere Männer in Arbeitsklamotten der Bar. Man nickt mir freundlich zu. Einer winkt sogar. Es ist so schade, dass ich kein Wort Grönländisch kann ...

Am späten Nachmittag nehme ich an einer zweistündigen "Eissafari" teil. Das heißt: Wir fahren mit Polarcircle Booten ziemlich dicht an die Eisberge heran.

Trotz Regen bin ich tief beeindruckt. Die bizarren Süßwassergebilde aus Eis und Schnee sind schwimmende Kunstwerke der Natur, Abfallprodukte eines riesigen Gletschers. Mal ganz weiß, mal türkis schimmernd, wenn sich gefrorenes Schmelzwasser eingeschlossen hat. Manche Eisberge sind schwarz durchwachsen. Sedimente der Moräne haben sich darin eingelagert. Das, was wir vom Eisberg sehen, ist aber nur ein Siebtel. Der Rest schwimmt unter Wasser.

Der absolute Höhepunkt beginnt mit einem lauten Krachen. An einem Eisberg unmittelbar vor uns bricht ein ordentliches Stück ab. Dadurch verändert sich der Schwerpunkt und der Eisriese beginnt zu rotieren. Als er wieder zum Stillstand kommt, hat sich das Äußere komplett verändert. Wir sehen jetzt, was vorher unter Wasser war. Was für ein Spektakel!

Dies und das aus Qeqertarsuaq

➡ Eisberge, das lerne ich in Qeqertarsuaq, haben in der Regel eine Lebensdauer von ein paar Monaten. Es gibt aber auch Eisberge, die mehrere Jahr alt werden.

➡ In Qeqertarsuaq befindet sich eine Arktis-Station der Uni Kopenhagen. Klima, Flora und Fauna Grönlands werden hier untersucht.

➡ 2.500 v. Chr. kamen über Kanada die ersten Menschen nach Grönland: die Paläoeskimos. Diese waren reine Nomaden, lebten nicht in festen Behausungen und starben wieder aus. Erst die so genannten Dorset Kultur (ca. 700 v. Chr.) war dauerhaft in Grönland überlebensfähig.

➡ Das Iglu ist eine reine Jagdunterkunft.

➡ Von den ersten Eisbergen mache wir noch unendlich viele Bilder. Etwas später - es kommen inflationär viele und spektakuläre in den nächsten Tagen auf uns zu - knipsen wir nur noch ab einer gewissen Größe :-) und löschen die Bilder der ersten Tage.